Problem Jagdverhalten

Hunde sind Raubtiere - das Jagen und Erlegen von Beutetieren liegt daher in ihrer Natur. Rasseabhängig ist der Jagdtrieb bei Haushunden unterschiedlich stark ausgeprägt, ein unkontrollierbares Jagdverhalten des Vierbeiners kann sowohl im häuslichen Umfeld als auch bei Spaziergängen große Probleme bereiten.

Warum jagt der Hund?

Für ein wild lebendes Raubtier ist die erfolgreiche Jagd überlebenswichtig. Obwohl der Haushund sich nicht selbst versorgen muss, lösen bestimmte Reize auch bei ihm das angeborene Jagdverhalten aus. Vertreter für die Jagd gezüchteter Rassen verfügen naturgemäß über einen stärkeren Jagdinstinkt als Hunde, die seit Generationen dem Menschen als Gesellschafts- und Begleithund zur Seite stehen. Auch bei Hunden gleicher Rasse kann es individuell große Abweichungen in Bezug auf die Jagdpassion geben. Das Aufspüren einer Fährte und Verfolgen einer potentiellen Beute führt beim Hund zu einer Ausschüttung von Endorphinen, die ihn in einen euphorischen Zustand versetzen. Auch wenn das Beutetier nicht erlegt wird, stellt die Jagd dadurch ein selbstbelohnendes Verhalten dar, das der Vierbeiner so oft wie möglich wiederholen möchte. Neben den leidenschaftlichen Jägern gibt es auch Hunde, die aus Langeweile oder übermäßigem Spieltrieb einen Jagdausflug wagen: In diesem Fall kann bereits eine abwechslungsreiche Beschäftigung für Abhilfe sorgen.

Jagdverhalten erkennen

Im Gegensatz zum spielenden oder gelangweilten Hund versetzt den passionierten Jäger bereits der Aufenthalt in einem potentiellen Jagdgebiet in größte Anspannung. Seine Sinne sind nur noch auf das Aufstöbern eines Beutetiers gerichtet, Rufe oder Signale des Besitzers dringen kaum mehr zu ihm durch. Das Jagdverhalten selbst läuft in mehreren Phasen ab:

  1. Aufspüren der Beute: Augen, Ohren und Nase nehmen alle Reize in der Umgebung genauestens wahr. Jede Art von Bewegung, Geräuschen und Gerüchen kann das Jagdverhalten auslösen. Erstarren und Fixieren zeigen dem aufmerksamen Hundehalter an, dass der Hund ein jagdbares Objekt oder eine Fährte entdeckt hat.
  2. Kann der Besitzer den Verhaltensablauf in der ersten Phase nicht unterbrechen, folgen Lauern, Anschleichen, das Aufnehmen der Fährte und das Hetzen des fliehenden Wildes. Die in diesem Stadium gezeigten Verhaltensweisen sind bei den meisten Hunden mehr oder weniger ausgeprägt, auch wenn sie nicht zu den leidenschaftlichen Jägern gehören.
  3. Packen, Schütteln, Töten und schließlich das Fressen der Beute stellen die Endhandlung der Jagd dar. In der Realität kommt es glücklicherweise selten zum tatsächlichen Erlegen der Beute - meist begnügt sich der Hund mit einer Hetzjagd und kehrt früher oder später gut gelaunt zu seinem Besitzer zurück.

Nicht immer läuft das Jagdverhalten nach diesem typischen Schema ab. Es können einzelne Sequenzen fehlen, andere dagegen übertrieben ausgeprägt sein - hier zeigen sich auch Unterschiede bei verschiedenen Jagdhundrassen: Während ein Beagle das Wild hetzen soll, dürfen Vorstehhunde wie Weimaraner oder Pointer es nur anzeigen, aber nicht jagen. Retriever wurden zum Apportieren der Beute gezüchtet, das Hetzen und Töten des Wildes ist ihnen aber ebenfalls verboten.

Übermäßigem Jagdtrieb entgegenwirken

Der Jagdtrieb gehört zur natürlichen Ausstattung des Hundes und kann nie vollkommen ausgeschaltet werden. Mit konsequentem Training ist es in den meisten Fällen aber möglich, ihn zu kontrollieren und in annehmbare Bahnen zu lenken. Manchmal fördert der Mensch unbeabsichtigt den Jagdtrieb seines Hundes:
Bereits der Welpe muss lernen, dass Jagen nicht erwünscht ist, auch wenn das Verfolgen eines Kaninchens in diesem Alter noch putzig und spielerisch wirkt. Überschwängliche Ball- und Zerrspiele können sich ebenfalls als erste positive Jagderlebnisse einprägen. Bei vielen Vierbeinern macht sich ein starker Jagdinstinkt erst im Alter von ein bis zwei Jahren bemerkbar, für den Hundehalter kommt der erste Jagdausflug seines Junghundes daher oftmals ohne Vorwarnung.

Gegenmaßnahmen sollten dennoch sofort ergriffen werden - geht ein Hund über längere Zeit immer wieder seiner Jagdleidenschaft nach, ist eine Umerziehung meist nur mit professioneller Hilfe möglich. Jedes mit einem Glücksgefühl verbundene Jagderlebnis verstärkt den Jagdtrieb des Hundes:
Die Erstmaßnahme muss daher sein, jeglichen Jagderfolg zu vermeiden. Spaziergänge sollten nach Möglichkeit nicht in wildreichen Gegenden und vor allem nicht in der Dämmerung stattfinden - Leinenpflicht herrscht ohnehin, bis sich ein Trainingserfolg einstellt.

Hund und Besitzer müssen lernen

Das "Anti-Jagd-Training" fordert nicht nur den Hund, sondern auch den Besitzer: Der Vierbeiner muss zuverlässig auf die grundlegenden Kommandos reagieren und lernen, seine Aufmerksamkeit auf den Besitzer zu richten. Diesem wiederum fällt die Aufgabe zu, seinen Hund intensiv zu beobachten:
Wie läuft sein individuelles Jagdverhalten ab? Auf welche Auslöser reagiert er, in welcher Sequenz ist ein Zurückrufen noch möglich? Zudem sollte der Hundehalter auf sein eigenes Verhalten achten:
Unsicherheit und Unruhe beim Anblick eines potentiellen Jagdobjektes übertragen sich auf den Hund und verstärken dessen Anspannung.

Kontraproduktiv ist es auch, dem Vierbeiner schreiend hinterherzurennen, wenn er bereits zu einer Hetzjagd gestartet ist: Das Resultat könnte sein, dass er seinen Besitzer dadurch als ebenso motivierten Jagdkumpanen wahrnimmt. Kommt der Hund früher oder später freiwillig zurück, darf er nicht getadelt oder bestraft werden. Der Lernerfolg für den Hundehalter besteht in diesem Fall darin, beim nächsten Mal genauer hinzusehen und schneller zu reagieren - oder den Hund gar nicht erst von der (Schlepp-)Leine zu lassen.

Grundgehorsam und Aufmerksamkeitstraining

Als Basis für das "Anti-Jagd-Training" muss der Hund die Grundkommandos sicher beherrschen, zu seinem Besitzer Vertrauen haben und ihn als Autorität ansehen. Ein Begleithundekurs in der Hundeschule bildet dafür eine solide Grundlage. Ziel des danach folgenden Aufmerksamkeitstrainings ist es, bereits in den ersten Jagdsequenzen (Aufspüren, Erstarren, Fixieren) mit dem Hund Blickkontakt herzustellen und so seinen Verhaltensablauf zu unterbrechen.

Geübt wird zuerst ohne Ablenkung im eigenen Garten oder auf einem wenig frequentierten und wildfreien Spazierweg: Nimmt der Hund von sich aus oder nach einem Signal (Kommando, Pfiff) des Hundehalters mit ihm Blickkontakt auf, wird er dafür gelobt und belohnt. Wendet sich der Hund immer häufiger von selbst dem Menschen zu, ersetzt das verbale Lob nach und nach vollständig die Futterbelohnung.

In weiterer Folge soll der Vierbeiner auf das eingeübte Signal hin auch dann seine Aufmerksamkeit auf den Besitzer richten, wenn diese gerade durch andere Reize in Anspruch genommen wird. Jeder Blickkontakt wird ebenfalls zuerst mit Futter, später nur noch mit Worten belohnt.

Rückruf und Radiustraining

Das Kommando "Komm", "Hier" oder "Zu mir" sollte dem Hund schon aus seiner Grundausbildung bekannt sein. Jagdlich motivierte Vierbeiner vergessen unter Ablenkung allerdings leicht ihren Grundwortschatz, was weitere Trainingseinheiten nötig macht. Eine Schleppleine - sie wird immer an einem Brustgeschirr befestigt, nicht am Halsband - sichert den Hund und erlaubt dem Besitzer, ihn sanft heranzuführen, wenn er auf das Kommando nicht sofort reagiert.

Kommt er mehr oder weniger freiwillig zum Hundehalter, erwarten ihn Lob und Leckerchen - so verbindet er das Zurückkommen stets als etwas Positives.

Mit Hilfe des Radiustrainings soll sich der Hund daran gewöhnen, innerhalb einer bestimmten Entfernung vom Menschen zu bleiben: Die Distanz hängt davon ab, wie zuverlässig er zurückgerufen werden kann. Das Training erfolgt auch hier mit der Schleppleine. Strafft sich die Leine, gibt der Besitzer dem Hund ein Signal (etwa "Stopp") und bleibt kurz stehen - reagiert der Vierbeiner darauf und wendet sich ihm zu, wird er gelobt und der Spaziergang geht weiter.

Trainingserfolg und Alternativverhalten

Ziel des "Anti-Jagd-Trainings" kann und darf es nicht sein, den Jagdinstinkt des Hundes vollkommen zu unterdrücken. Passionierte Jäger, die ihre Leidenschaft nicht ausleben dürfen, verlegen sich nicht selten auf das Jagen von Autos, Joggern oder Radfahrern - manche Vierbeiner entwickeln gar autoaggressives Verhalten und beißen sich den Schwanz oder die Pfoten blutig.

Eine gute Alternative zum Jagen von Hasen oder Rehen stellen vom Besitzer veranstaltete Such- und Apportierspiele oder die Beschäftigung mit einer Reizangel dar. Wichtig dabei ist, dass nicht das Erlegen der Beute, sondern das gemeinsame Spiel mit dem Menschen im Vordergrund steht - übertriebene Hetzspiele können den Jagdeifer des Hundes sogar noch verstärken. Auch sportliche Aktivitäten wie Agility, Dummytraining oder Flyball lasten den Vierbeiner körperlich und geistig aus.

Literaturempfehlung / Quellen

Autorinbild
Autorin Regine Schineis

"Ein Leben ohne Tiere ist möglich, aber sinnlos." So lautet das Lebensmotto der Tierpsychologin und Autorin Regine Schineis, die gemeinsam mit Mann und Tieren in der Steiermark zu Hause ist.